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Konrad Holzer, Buchkultur

Vater und Mutter werden 80. Tochter Jolanda – kurz Jolie – bereitet aus diesem Anlass ein Fest vor und lädt Eltern und Geschwister ein. Die Vorbereitungen für das Fest bilden einen Handlungsstrang von »Die geheimen Leben der Schneiderin«. Parallel dazu erfährt man ihre Biographie und nun könnte man auch noch erzählen, was mit dem Vater und wie die Mutter ist und was die Geschwister alles nicht sind. Soll aber hier gar nicht sein.

Dieser Romanerstling der 1940 in Luzern geborenen Angelika Waldis, einer studierten Germanistin, Journalistin und Lehrerin, ist ein doppelter Glücksfall: Zum einen ein beglückend typisches Buch über die Schweiz und zum anderen eines über eine älter werdende Frau. Wie Angelika Waldis es schafft, das Leben dieser Schneiderin bis knapp an die Sentimentalitätsgrenze randvoll mit Gefühl zu füllen, ist einmalig. »Ihr Leben ist ein Stoff, der ihr aus den Händen gleitet. Sie hat noch nichts Richtiges daraus genäht.« Einerseits verwendet sie E-Mails als literarische Bausteine und andrerseits schreibt Jolie Sinnsprüche: »Vom Wort Wunder gibt es keine ›Verkleinerungsform‹«. Die schreibt sie auf die Rückseite ihres Arbeitsbuches, in dem alle Näh-Aufträge festgehalten sind. »Beim stillen, stundenlangen Sitzen über der Näharbeit hat das mit den Sätzen angefangen. Sie schleichen Jolie an und sie packt und sammelt sie.« Und wenn es ihr gut geht, schreibt sie in Gedanken Briefe an ihre Tochter, einen nach dem anderen. Denn diese Maxi, die irgendwo in der weiten Welt herumfährt, ist Jolies Glück. Das andere Glück ihres Lebens war ihr Bruder Franz, aber der ist ertrunken, wie sie ein Kind war. Aber irgendwann einmal beschleichen sie Zweifel und aus diesen Zweifeln und wie sich Jolie auf die Suche nach der Wahrheit begibt, erhält dieses Buch noch eine ganz andere, zusätzliche Stimmung, eine Nerven zerfetzende Spannung.