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Echo

Michael Reinartz, WDR2, September 2015

Die Geschichte spielt in einem großen Verlagshaus in Zürich. Dort wird in erster Linie eine überregionale Zeitung herausgegeben. Das ist das Kerngeschäft. Hinzu kommen dann zum Beispiel noch eine Zeitschrift für Frauen und eine Gratiszeitung, die in hoher Auflage an Bus- und Bahnhaltestellen verteilt wird. Das also ist der Marktplatz. Hier werden Geschichten über andere geschrieben und verkauft - doch von sich selbst geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lieber nichts preis. Sie halten ihr Innenleben geheim.

Natürlich wird hier die Arbeit von Journalisten thematisiert. Aber es geht auch um viele andere Menschen und Berufsgruppen, die in einem solchen Unternehmen arbeiten. Zum Beispiel um die stellvertretende Kantinenchefin Nadine Schoch, um die Auszubildende Annakatharina Hirsbrunner aus der Honorarbuchhaltung oder um Tino Turrini, der täglich die Hauspost an die Schreibtische bringt. So gesehen könnten die hier präsentierten Stories in jedem anderen in Schieflage geratenen Unternehmen spielen: weil die Geschäfte nicht mehr so gut laufen, weil die Zukunft sehr viel ungewisser geworden ist, weil deshalb die Sorge um den Arbeitsplatz größer und der Ellbogeneinsatz untereinander schlimmer geworden ist.

Alle Personen in diesem Buch wollen oder müssen etwas verbergen. Darunter natürlich die heimlichen Liebesaffären und der versteckte Alkoholkonsum. Aber auch ganz andere Machenschaften und Leidenschaften.

Der Roman beinhaltet 328 Seiten, insgesamt werden dem Leser 27 Personen auf jeweils zehn bis zwölf Seiten vorgestellt.

Und das ist die große Kunst von Angelika Waldis: Es gelingt ihr, den Lesern ihre vielen Protagonisten und deren Innenleben in sehr kurzer Zeit und auf wenigen Seiten sehr nahe zu bringen. Aus den Einzelschicksalen entsteht ein stimmiges Gesamtbild. Zentral sind die uns täglich bedrohenden großen und kleinen Ängste sowie die daraus entstehenden großen und kleinen Bösartigkeiten gegenüber den Mitmenschen. Die Figuren haben fast alle ihre hellen und ihre dunklen Seiten. So kümmert sich die stellvertretende Kantinenleiterin Nadine Schoch als alleinerziehende Mutter rührend um ihre kranken Kinder - und arbeitet gleichzeitig mit versteckten Fouls daran, ihren Chef, den Kantinenleiter Robert, aus dem Unternehmen zu ekeln und seine Stelle einzunehmen.

Anhand von 25 Miniaturskizzen entsteht das Panorama eines Konzerns im Umbruch. Die Autorin ist sehr präzise in ihrer Analyse. Sie beschreibt, wie sich die Umstrukturierungsmaßnahmen auf Beruf- und Privatleben auswirken. Auf wenigen Seiten wird das Seelenleben der handelnden Personen teils bis in die kleinsten Details offen gelegt.

Dabei entwickelt man Mitgefühl selbst für die menschlich besonders zweifelhaften Mitarbeiter. Weil sie dem Druck mitunter nur mit Kokain in der Nase standhalten.

Insgesamt hat Angelika Waldis eine schöne Studie voller Bösartigkeiten vorgelegt. Wobei auch die kleinen Freuden und Triumphe des modernen Alltagslebens beschrieben werden.

Aber Achtung! Nach der Lektüre von »Marktplatz der Heimlichkeiten« werden Sie ihre Kolleginnen und Kollegen eventuell mit anderen Augen sehen.